Nazis raus – und dann haben wir doch von nichts gewusst

Wir schauen zurück in die Zeit des Nationalsozialimus‘ und verbinden damit oft den Spruch: „Wir haben davon nichts gewusst.“

Schauen wir in die Gegenwart, sollte uns schnell deutlich werden, wie überheblich wir sind. Denn wir scheinen uns nicht anders zu verhalten. Wie oft schauen wir weg oder schweigen, wenn erkennbar Rechtspopulismus laut wird?

Aktuell beschäftigt mich folgende Situation, die ich ein wenig näher veranschaulichen möchte.

Die ZDF-Reporterin Nicole Dieckmann twitterte „Nazis raus“ und erntete einen enormen Shitstorm. Die Antwort folgte gleich, indem sich die Menschen in den sozialen Netzwerken mit Nicole Dieckmann durch ein #Nazisraus solidarisierten.

„Aber wo sollen die Nazis denn hin?“, fragte ich mich. Wollen wir eine Enklave bilden und sie sich auf dem Land selbst überlassen? Wollen wir ihnen die Möglichkeit geben, Gemeinschaft zu leben, anstatt zu gröhlen? Wollen wir ihnen Saatgut mitgeben, damit sie verstehen, wie man sich selbst versorgt? Wollen wir sie ihrer eigenen Gruppendynamik überlassen und sie erledigen sich dann von selbst?

Eine kluge Antwort erhielt ich dann: Nazis raus aus allen Ämtern, aus der Polizei, aus Schulen, aus der Bundeswehr, aus allen Bereichen, in denen man mit Menschen zu tun hat oder Macht besitzt.

Das ist ein Ansatz. Nun passierte auf meiner Facebookseite etwas, das mich tief ins Grübeln brachte.

Ein Facebook-Freund äußerte sich kürzlich auf meiner Seite über Langzeitarbeitslose und Flüchtlinge, also Randgruppen, die in unserer Gesellschaft in manchen Augen zu Feindbildern „aufgestiegen“ sind. Seine Argumentation und auch Form des Dialoges ist wie eine Schablone auf andere Diskussionen zu legen, welche an irgendeinem Punkt rechtspopulistisch werden. Daher bietet sich diese Veranschaulichung, stellvertretend für viele andere Diskussionen dieser Art, an:

(Original)

„Ich hab kein Problem mit Menschen die arbeiten wollen. Ich steh morgens 4.30 Uhr auf um für meine 2k arbeiten zu gehen. Ich kenne genug hartzer und lerne in meinem Job monatlich genug von diesen kennen. Die sagen, selber schuld, für das bisschen Geld. Paar Tage, sind sie wieder weg. 7 uhr anfangen? 8 Uhr anfangen? Zu früh für die. Hör ich zu 95% jedes mal. Ich könnt kotzen. Die Leben auf meine Tasche. Paar Tage, sind die wieder weg. Die wollen nicht. Versteh ich ja n bisschen. Früh aufstehen ist kacke, aber das gehört nun mal zu vielen Jobs. Amt zahlt ja, und nicht zu wenig. Tut mir , aber in meinen Augen zu viel. Wenn mein Kühlschrank kaputt geht muss ich gucken, wo ich den auf keife am besten bekomme. Das ewige Gejammer von den hartzern geht mir auf den sack. (Fast) alle habe flatscreen Handy ps4 Wii rauchen Hund usw. Ich kann es mir nicht leisten. Nicht mal Urlaub. Und ich stehe morgen trotzdem wieder um 4.30 Uhr auf. Samstag, richtig und ich gehe auch Sonntag, nur um zu leben“

In diesen Aussagen steckt wirklich jedes Klischee von denen drin, bei denen die Spaltungspolitik der Agenda 2010 gewirkt hat.

„Ich kenne genug Hartzer“:

In seinem bescheidenen Spektrum hat er was wahrgenommen, was mit der Realität nur bedingt zu tun hat.

 „Die Leben auf meine Tasche“:

In dem Text „Arbeitsverweigerer sind nützlich für Arbeitnehmer“ von Heise heißt es:

„Alles Geld, das Sozialleistungs-Empfänger erhalten, fließt komplett in den Konsum und in Mieten. Also zurück in den Wirtschaftskreislauf, wo dieses Geld direkt oder indirekt die Arbeitsplätze aller Arbeitnehmer mitfinanziert.“

Damit wurde seine Befürchtung widerlegt. Wollte er aber nichts von wissen.

„Das ewige Gejammer von den hartzern geht mir auf den sack. (Fast) alle habe flatscreen Handy ps4 Wii rauchen Hund usw.“:

Nun wird erkennbar, welch Geisteskind er ist. Sind es nicht Rechtspopulisten, die mit so einem Blödsinn die Hirne verschwurbeln? Wer empfänglich für solche Aussagen ist, lässt sich fischen und plappert diesen Schwachsinn nach. Man kann nur ahnen, welchen Quellen er sich zuwendet.

Bei allen Versuchen, ihn zu einer sachlichen Auseinandersetzung zu bringen, wurde er beleidigend, ALG-II-Empfänger wurden Sozialschmarotzer genannt, man solle doch arbeiten gehen, wir sollen eben alle hartzen, während er arbeitet. Einer sachlichen Kommunikation war er nicht zugänglich und antwortet bei jedem seiner Beleidigungen stets mit vielen tränenlachenden Smilies. Und man soll glauben, er wäre fröhlich?

So und so ähnlich gingen die Kommentare bei Facebook weiter. Die Schablone wurde mit allen Klischees, welche die Rechtspopulisten verbreiten, auf die Argumente der Mitdiskutierenden gelegt. Vielen Menschen hat er vor den Kopf gestoßen. Wer schon mal im ALG-II-Bezug war weiß welche Ängste und Traumata der tägliche Begleiter sind.

Er spielte Arbeitnehmer gegen ALG-II-Bezieher aus, dann kamen die Flüchtlinge ins Spiel. Auf seiner Seite teilte er den Spruch:

„Aktuell kümmern sich zwei Sozialarbeiterinnen um 5 Flüchtlinge, während sich 2 Altenpfleger um 60 Patienten kümmern!“

Und da sind wir in einem klar definierten rechtspopulistischen Bereich. Wohlwissend, dass dieser „er“ bei der Caritas arbeitet und scheinbar Senioren pflegt, wurde mir nun ein wenig mulmig. Denn er schreibt weiter bei Facebook:

(Original)

„Wir Deutschen, haben erst mal mal die Pflicht unseren eigenen Menschen zu helfen, die, die im Krieg alles verloren haben. Dann kommen vllt die anderen. Ich hasse es zu sehen sehen, das Menschen betteln, ich meine unsere Deutschen, haben gearbeitet, und es reicht nicht. Ich gebe lieber 5 Euro nem Deutschen als irgendeinen sonst. Sorry, nen mich Nazi, ist mir egal Ich helfe lieber meinem Volk als sonst wem“

Man kann also davon ausgehen, dass er als Altenpfleger Unterschiede in seinem Job macht. Es ist also nicht egal ob ein Türkischstämmiger, eine Syrerin oder ein Mensch aus Afghanistan von ihm gepflegt wird oder ein Deutscher. Und hier bin ich klar an dem Punkt, wenn wir im Netz fordern:

Nazis raus!

wollen wir nur hohle Phrasen posten? Wollen wir tatenlos zusehen, wie sich die unzufriedene Arbeitnehmerschaft zusammenrotten kann und in ihrem Unmut Feindbilder schafft? Wollen wir zulassen, dass Gruppendynamiken entstehen und man sich gerne bestätigt, wenn solche dummen menschenfeindlichen Aussagen getätigt werden?

Rechte scheißen gerne an. Anonym. Was ist mit uns? Sagen wir dem Arbeitgeber dieses Rechtspopulisten, was sie für eine Zecke im Pelz haben? Da ist die Hemmschwelle groß. Das macht man nicht, man will ja niemanden in die Arbeitslosigkeit bringen. Aber ist er denn nicht auch selbst verantwortlich für sein Tun? Ab wann ist es unsere Pflicht, anzuzeigen? Immerhin geht es auch um die Menschenwürde von Menschen, die „dem Staat auf der Tasche liegen“ und nicht Deutsch sind. Diese Menschenwürde droht dieser Rechtpopulist zu missachten. Und wir haben nichts mehr zu bieten, als eine Parole? Eigentlich sollte an diesem Punkt die Zivilcourage Einfluss nehmen. Wollen wir einen Rechtspopulisten schützen, damit er Menschen, die von ihm abhängig sind, ggf. schlechter behandelt, weil sie nicht seinen Vorstellungen entsprechen?

Ähnliche Szenarien kann man sich bei der Polizei vorstellen. Haben Kollegen bei der Polizei in Hessen wirklich nicht gewusst, dass ein mutmaßlich rechtes Netzwerk existiert? Haben sich die Kollegen niemals entsprechend geäußert?

Und nun sind wir wieder an dem Punkt, dass die Menschen damals von nichts gewusst haben. Vielleicht wussten sie, aber sie wussten nicht, sich zu helfen?

Wie wollen wir vorgehen? Wie gehen wir im Alltag mit Rechtspopulisten um? In den absolut seltensten Fällen sind Gespräche möglich. Selbstreflektionen der Populisten finden nicht statt. Sie sehen nur ihre Opferrolle und die anderen sind das Feindbild. Lösungsansätze gemeinsam eruieren, das würde Wissen und auch Wissen wollen voraussetzen. Aber der Rechtspopulist ist die Opferrolle gewohnt, das ist seine Wohlfühlzone, die kennt er. Hier weiß er, was ihn erwartet. Selbst wenn man ihn Nazi nennt, ist er es schon gewohnt. Da sind sie leidensfähig. Aber sie eskalieren immer mehr, finden mehr Mitläufer. Sie bestätigen sich in ihrem Irrglauben, ihre Wahrheiten wären richtig. Und der Hass wächst.

Wir schauen zu. Redet man mit aufgeklärten Menschen, die Rechtspopulisten was entgegensetzen wollen, so kommt man nur auf einen Konsens: Man muss mit ihnen reden. Aber wenn das nichts bringt? Ist es nicht doch wirksamer, Rechtspopulisten aus Verantwortungsbereichen zu entfernen, in denen sie gar eine Gefahr sind?

Bleibt die Parole „Nazis raus“ nur eine Parole, werden diese nur die Schulter zucken und weiter machen. Wir können jetzt nur die Strukturen sehen, die zu was ganz Üblen führen können. Werden wir diesen Prozess aufhalten können? Oder reden wir nur, anstatt Zivilcourage zu zeigen? Wenn wir nicht handeln, könnten unsere Enkel fragen:

„Und sie wollen von nichts gewusst haben?“

 

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